Ralph Roger Glöckler

rueckkehr ins dorfÜber das Buch:

Ralph Roger Glöckler erzählt mit poetischer Sprache und auf ineinander verflochtenen Wahrnehmungsebenen eine wahre Geschichte, die sich 1987 in Portugal ereignet hat. Ein Mann tötet in drei Stunden sieben Menschen. Für die Recherchen dieses Romans besuchte er den Mörder im Gefängnis. Die Interviews und das Täter-Tagebuch dienten als Grundlage für die Erkundung der Hintergründe des Verbrechens und beeinflussten die Form des Romans, der weder Thriller noch Krimi ist, sondern eine literarische »Leidensstudie« über die Kraft des Denkens und das Vermengen von Wirklichkeit und Wahn.

Textauszug:

Der Engel überm Dach von Großmutters Haus, ein in zerfetzte Klamotten gehüllter Bote des Lieben Gottes, hebt das Megafon vor den Mund und verkündet den Leuten im Dorf frohe Botschaft: Die Schwangerschaft von Fräulein Maria, der Erzeugerin des Schreibers dieser Zeilen, sei Frucht unbefleckter Empfängnis, hätten Großmutter und ihre Tochter doch einen dieser gewissen Herren vor einigen Wochen davon überzeugen können, der Heilige Geist gewesen zu sein und den in einem armen Bauernhaus geborenen Buben an Kindesstatt anzunehmen, ich sehe es vor mir, hätte man meinen Geburtstag also auf den 25. Dezember eintragen lassen, wäre ein richtiger Herr Jesus aus mir geworden.

Die Geschichte meiner Rückkehr ins Dorf, die ich trotz vagen Anfangs und eines Endes, das keines ist, niederschreiben will, wird Fragment bleiben, weil mir nach all den Jahren nur gewisse Erinnerungen geblieben sind, die, bevor ich dieses Tollhaus in der Frühe verlasse, um arbeiten zu gehen, bereits unlesbar sein werden. Es hat lange gedauert, an die richtige Tinte zu gelangen, um diese Blätter nach einer Weile wie unbeschrieben wirken zu lassen. Gut so. Gehe ich doch niemanden etwas an. Oder?

Auch dürfe man sich gar nichts dabei denken, so die Megafonstimme, wenn es bei der Vaterschaft nicht ganz katholisch zugegangen sei, schließlich bestehe das Leben aus faulen Kompromissen. Der Himmlische Vater drücke gerne ein Auge zu, wenn es darum gehe, einen überzeugenden Josef zu finden, vor allem hier bei uns, hinter den Bergen. Nein, der Engel über Großmutters Haus ist kein Bote des Lieben Gottes, sondern ein Verstoßener, durchs Weltall stürzender Schwätzer, der auf unserem Dach aufgeschlagen und davon herunter gerutscht ist. Nun liegt er zerschmettert neben dem Pfirsichbaum, kann vor Schmerzen weder leben noch sterben, und das Megafon gibt nur seltsame Geräusche von sich. So ist mein Geburtstag auf den 23. Dezember eingetragen worden.

Rückkehr ins Dorf

Erscheinungsdatum: 9. Mai 2019
(Umfang ca. 200 Seiten)

Artikelnummer: 978-395771-242-4

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Hardcover-Druckbuch (19,90 )
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Ralph Roger Glöckler über Mord, Gefängnisbesuche und das Literaturarchiv 

Ein Interview von Aileen Hiecke mit Ralph Roger Glöckler

http://groessenwahn-verlag.de/in-dieser-nacht-ist-alles-moeglich-2/

 

 

Luciano Caetano da Rosa

“Rückkehr ins Dorf”

Gedanken zu dem Roman von Ralph Roger Glöckler

Dieses Buch ist keine einfache Lektüre, weil die feinsinnige Erzähltechnik einen kreativen Leser verlangt, der in der Lage ist, die jeweiligen Erzähler zu unterscheiden. Die detaillierten Beschreibungen, vielleicht ein Einfluss von Alain Robbe-Grillets >Nouveau Roman<, erlebte Rede, >stream of consciousness<, in komplexen syntaktischen Gefügen mit verbalen, modal angereicherten Sequenzen (mögen, sollen, wollen, dürfen …), die es erlauben, zu erahnen oder besser zu verstehen, was im Roman geschehen ist oder hätte geschehen können, ja, geradezu das Mithören dessen, was der andere denkt, sowie die zu bemerkende, komplexe Arbeitsvorbereitung für dieses Werk, erwecken den Wunsch, den Autor zu beglückwünschen, der sich nicht nur in die menschlichen Beziehungen einfühlt, sondern auch in das vielschichtige soziale Umfeld.

Obwohl die Lektüre viele Fragen aufwirft, die nicht zu beantworten sind, steht hier nie die schriftstellerische Meisterschaft zur Diskussion, das Deutsche, bei dem der Fremdsprachler viele Worte kennenlernen kann, die selbst Deutschen wenig vertraut sein mögen, z.B. >Versonnenheit<, oder die durchgehaltene, stilistisch gelungene Erzählkunst.

Dieses Werk ist eine Synthese aus Fiktion und, nennen wir es einmal so, sozialer Anthropologie, auch wenn das Ergebnis dieser Arbeit, ihr Mehrwert, auf ästhetischem Gebiet, also im Literarischen liegt. Ich möchte in diesem Zusammenhang einen Satz von José Cardoso Pires zitieren, einem der glänzendsten portugiesischen Prosaschreiber des 20. Jahrhunderts, um zu verdeutlichen, dass es sich bei „Rückkehr ins Dorf“ um eine >prosa ficcional dissertada a partir da realidade< handelt, einer auf Wirklichkeit beruhenden Prosaerfindung, und schließe den Gedanken an, dass Wirklichkeit und Fiktion, Fiktion und Wirklichkeit einander stetig neu bedingen.

Die Geschichte menschlichen Leidens erhält mit diesem Werk ein Dokument des himmelschreienden Protestes gegen das Universum. Die Dialektik, die sich im Deutschen so gut in den Begriffen von >Täter< versus >Opfer< ausdrückt, mag dazu führen, dass es, berechtigt oder nicht, niemanden gibt, der völlig schuldlos wäre. Gregors Mord an Frau und Kindern ist ein monströses Verbrechen, das wohl nur derjenige begehen kann, der nicht ganz bei Verstand ist. Gregors Krankheit rührte aus dem täglichen familiären Verhalten und der gebrochenen Wahrnehmung dessen her, was schon geschehen war und weiterhin geschehen würde, einer bei ihm jedoch pathologisch gesteigerten Wahrnehmung, auch wenn es zwischendurch immer wieder Augenblicke geistiger Klarheit gegeben haben mag.

Was der Autor bei der Arbeit an diesem Buch empfunden, welche Konflikte sich ihm dabei eröffnet haben mögen, kann nur er selbst beantworten: Ein nicht ungefährliches Spiel mit dem Feuer. Davon einmal abgesehen, halte ich das dabei entstandene Werk für brillant.

(Aus dem Portugiesischen von RRG)

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